Freitag, 25. November 2011

In der Offenbacher Bahnhofslounge achtzehn:52

Morgens richtete ich mit Anna den Raum her. Dieser Raum im Offenbacher Hauptbahnhof, der früher mal eine Bäckerei war und noch früher eine düstere Spielothek. An unserem Morgen schien die Sonne golden in unseren Raum hinein, der so ganz in weiß noch etwas nüchtern aussah. Bis zum Abend sollte er sich in ein Wiener Kaffeehaus verwandeln. Das hatte der Raum noch nicht erlebt - und ich hätte es nie im Leben geglaubt, dass ich hier einmal aus meinem Roman lesen würde - das Kapitel "Kaffeehausmusik", das im Wiener Café Central spielt. Irgendwie fand ich es wichtig, die Zuhörer ein wenig in die richtige Stimmung zu versetzen, mit ein paar kleinen Attributen: Einem roten Stück Stoff, Musik und Sachertorte. Und natürlich mit Annas Großstadtfotos, die zwar Offenbach abbilden, aber in ihren Details für das Thema Stadt überhaupt stehen können. Melange hatten wir die Veranstaltung genannt, wegen dieser Mischung aus Wien und Offenbach und uns beiden, Milch und Kaffee, blond und braun.


Mit dem Besen in der Hand und Shostakovich im CD-Spieler ging es los. Es dauerte nicht lange, da hatten wir Publikum: Verdutzte Pendler und Ordnungshüter. Zum Walzer Nummer Zwei tanzten wir ein wenig übermütig von Ecke zu Ecke, stellten die Stühle auf, hängten die Bilder auf, nagelten den roten Samt an die Wand und schoben meinen Fauteuille davor. Zwei schön gemusterte Tapetenrollen ins Fenster  - fertig!


Danach mussten wir unsere Ungeduld noch bis zum Abend zügeln - und arbeiten. Zur blauen Stunde, kurz nach fünf, machte ich mich im schwarzen Samtkleid wieder auf, meinen Hackenporsche in der Rechten, gefüllt mit kleinen roten Büchlein, die Sachertorte und eine roten Nelke in der Linken. Wie ein kleiner vergnügter Übeltäter kam ich mir vor, als ich mit meinen absonderlichen Utensilien zum Hintereingang des Bahnhofs, von dem ich jahrelang ins ungeliebte Frankfurt gefahren war, hineinschlich.


Alles war noch seinem Platz. Die Bilder hingen fest, der rote Samt auch. Ich schnitt meine Torte auf und stellte Kaffeetassen bereit, die eine nette Dame uns samt Kaffee zur Verfügung gestellt hatte. Wenig später kam Anna mit wunderschönen grünen Klunkerohrringen angetan. Wir stellten die kleinen roten Büchlein mit meiner Geschichte darin hinter den Kaffeetassen auf und zündeten die Kerzen an. Meine Schwiegermutter brachte weitere Torten und nach und nach kamen die Gäste. Ich wurde langsam ein wenig nervös und zupfte an meiner Strumpfhose, die irgendwie rutschte. Anna begrüßte Freunde und stellte sie mir vor. Ich tat das gleiche und freute mich über den regen Zulauf.




Und dann war es soweit: Ich saß da vor den erwartungsvollen Gesichtern, hörte mich ein paar einführende Worte sagen und begann dann mit diesen ersten Sätzen des sechsten Kapitels. Eines Kapitels, das einen Wendepunkt in diese seltsame Nochnicht-Liebesgeschichte der beiden Protagonisten bringt. Jedes Wort hatte ich abgewogen und nun beim Lesen spürte ich, wie diese einzelnen Worte in den Köpfen der Zuhörer widerhallten. Einige sahen mich dabei ganz genau an und es war so, als ob ich diesen Dialog zwischen den Liebesleuten, den ich da vorlas, mit ihnen selbst sprach. Zwischen den Sätzen konnte ich die Stille hören und in ihr die Erwartung an das Weitergehen der Geschichte, an das Ende, das ja noch keines ist.

Das schönste Kompliment war  ein zustimmendes Raunen, nachdem ich geendet und hinzugefügt hatte, dass ich im nächsten Jahr weitere Kapitel lesen würde. Und einige sagten mir, dass sie so gespannt wären, wie es weitergeht.



Ja, das bin ich auch, gespannt wie es weitergeht. Nicht direkt mit dem Text, denn der liegt hier schon auf meinem Tisch. Aber mit der Veröffentlichung dieses Romans. Ich hoffe, ich kann nächstes Jahr noch ein paar rote Büchlein drucken - und schließlich auch das ganze Buch weitergeben.


Die schönen schwarzweiß-Fotos von Anna gibt es übrigens neben anderen stylischen Geschenken am nächsten Mittwoch in der Bahnhofslounge zu kaufen. Aber, don't call it a Weihnachtsmarkt!


*Die Fotos hat mir freundlicherweise Hans-Jürgen Herrmann zur Verfügung gestellt.