Dienstag, 25. September 2012

Verschwiegener Treffpunkt

In der letzten Woche führte mich ein Termin auf den Mühlberg. Ja, genau, das ist diese Gegend zwischen Offenbach und Frankfurt, ehemals recht vornehm, bis die Flugzeuge darüber kreisten. 

Vielleicht sollte man mal eine Menschenkette von Offenbach über Oberrad und den Mühlberg bis nach Sachsenhausen, dann rüber über den Eisernen Steg bis auf den Römer stellen. Genug Leute müssten's ja sein. Wäre einen Versuch wert.

Letzte Woche jedenfalls hatte ich Glück: Das Wetter war blau und kein Flieger zu sehen. Ich wanderte von der Straßenbahnhaltestelle mit dem amüsanten Namen "Lettigkautweg" aufwärts in Richtung dieses erstaunlich hohen alten Schulgebäudes zur Steinhausenstraße. Schon früh fiel mir ein neues weißes Schild auf, das den Weg zum sogenannten "Willemer Häuschen" wies. Von diesem Häuschen hatte ich schon gehört, es aber noch nie gesehen. Ich beschloss auf meinem Rückweg einen kleinen Abstecher zu machen.

Eine Stunde später folgte ich dem Schild den Hühnerweg entlang, an dem sehr schöne idyllische Häuser stehen und weiter hinten alter Baumbestand. Inzwischen hieß dieser Abschnitt Goehte-Wanderweg.  Hier oben hatte er sich des öfteren herumgetrieben und war vielleicht auch hinüber nach Offenbach gelaufen, zu seiner kleinen Lili. Aber nicht mehr als das "Willemer Häuschen" ins Spiel kam. Da war Lili längst abgemeldet. Mit diesem kleinen Häuschen, verband der Dichter aber auch so eine pikante Geschichte. Hatem und Suleika...ich hatte da noch sowas im Kopf, was mich immer weiter den Hühnerweg hinauf lockte. 


Ich wollte schon fast schon aufgeben, weil kein Hinweis mehr kam, als ich Schieferziegel durch die Bäume schimmern sah, in der Art, wie sie auch alte Mansardendächer in Offenbach zieren. Und tatsächlich, da war es: Ein entzückendes turmartiges kleines Bauwerk in einem kleinen Garten am Waldrand. 











In diesem verschwiegenen Schlupfwinkel hatte Goethe Marianne von Willemer getroffen - und sie hatten bestimmt nicht geschwiegen dort drinnen. Über was mochten die beiden wohl gesprochen haben? Da wäre ich gerne ein Mäuschen gewesen. 

Jedenfalls heute darf man das Häuschen an Sonntagen besichtigen - und ich beschließe, das einmal zu tun, mit dem Auszügen aus dem "Westöstlichen Diwan" im Gepäck.  




 




Mittwoch, 19. September 2012

Guckst Du

Gestern nach einem erfolgsversprechenden Lunchmeeting habe ich es getan. Es war eigentlich ganz einfach, nachdem ich mich einen Monat geziert hatte. Aber, das lag auch an der sehr netten Beratung, die zur Abwechslung einmal mir zuteil geworden ist.

Also, es war nicht mehr wegzuschieben, genauso wenig, wie der kommende Herbst mit seinen fallenden Blättern wegzuschieben ist: Ich brauchte eine neue Brille. Denn schließlich, wie soll ich sonst schreiben. Sicher, als Kinder haben wir mal Blindschreiben probiert mit verbundenen Augen. Das war sehr lustig. Aber im Berufsleben gibt es wenig Raum für solche Scherze. 

Beschleunigt hat meine Entscheidung ein neuer Optiker auf der Offenbacher Kaiserstraße - Optik 29. Da sah ich vor etwa einem Monat ein schönes Modell im Fenster, dass dann auf meiner Nase aber weniger schön aussah. Mein Gesicht ist für jene neuen großen Gestelle einfach nicht gemacht. Für einen Augenblick hatte ich vergessen, dass ich einst froh war, die Achtziger und deren Moden hinter mir zu lassen. Trotzdem wollte ich diesmal ein "richtiges" Gestell mit einem markanten Rahmen. Wir fanden schließlich ein paar Modelle. Wir, das heißt, die Optikerin, ich und ein süßer braunschwarzer Hund der Rasse Deutsch Kurzhaar.

In den nächsten Wochen überkamen mich dann Zweifel, ob des markanten Rahmens in dunkelbraun. Also nochmal die kleine Prozedur. Das war gestern. Diesmal half auch noch der Herr Optiker mit. Außerdem bekam ich kurzerhand ein paar Tageslinsen, damit ich mich selbst bewundern konnte. Soviel sei schon verraten: Es ist ein markanter Rahmen geblieben, aber nicht in dunkelbraun. Nun bin ich ganz ungeduldig. 



Die nicht und die auch nicht. 

Aber die:




Montag, 17. September 2012

Welcome to the modern world

Das Licht ist toll an diesem Herbstmorgen. Es lockt mich bis ganz nach vorn zum Kaiserleikreisel,auf dieses kleine Rondell. Die frühe Sonne schimmert auf der petrolgrünen Fassade des ehemaligen KWU-Hochhauses, das so eine eigenwillige Schönheit erhält. Ein knallroter Cola-Laster vervollkommnet dieses Bild. An dieser Stelle spielt die Stadt Metropolis, denke ich. Zumal das KWU-Haus wohl leersteht, wie ich im heimischen Medium gelesen habe. Kaum vorstellbar, dass hinter den ganzen Fenstern niemand sitzt. Wie es wohl innen aussieht? Das Gebäude könnte eine tolle Kulisse für einen Katastrophenfilm abgeben oder für einen abgedrehten Science Fiction wie Mars Attacks. Schade, dass niemand sowas macht, finde ich und wandere wieder rüber in die Platanenallee. 




Auf dem Rückweg prangt mir warnend das Schild eines neuen Fitnessstudios entgegen: City Fitness, Berliner Straße 312. Es lockt mit Eröffnungsangeboten. Vielleicht sollte ich das mal testen. Im Winter, der ja bevorsteht, bestimmt keine schlechte Idee. Wie ich auf der Internetseite lese, wird auch Dynamic Yoga angeboten. Dynamic schreckt mich ein bisschen ab - aber es gibt auch eine Sauna...und, wenn die Gartensaison zu Ende geht, fällt schließlich das Dynamic (Unkraut-)Jäting weg. Da braucht die Großstadtpflanze einen Ausgleich.


Ein hübsches Schlusswort für diese Gedanken finde ich an der Mauer unter dem Bahndamm: "I am in love with the modern world now". Was hat beim Autor wohl diesen Sinneswandel bewirkt?

Donnerstag, 13. September 2012

Ich suche mir diese Bilder nicht aus

Die Trübnis weicht. Fortgeschoben von einer bleichen Sonne, aber immerhin. Ich also raus, obwohl noch müde. Die kühle Luft ist frisch auf der Haut und den Augäpfeln. Im Park ist heute viel Krach. Der runde Brunnen wird gesäubert und nasse Blätter aus dem Teichzufluss geholt. Da muss ich schnell vorbei und mir einen ruhigeren Seitenpfad suchen. Ich lenke meine Schritte in Richtung Betonpavillon. Der schöne schlichte Bau ist schon seit einem halben Jahr eingerüstet, was das Bild stört. Jedes Mal. 




Ich will eigentlich keine Störung. Ich will noch ein wenig meinen Gedanken nachhängen, die um eine  Buchpräsentation am gestrigen Abend in Frankfurt schweifen. "Zwölfender" von Britta Schröder. Ein schmales Buch, dessen Titel mir vor kurzem schon aufgefallen war durch den ungewöhnlichen Titel selbst und die Gestaltung des Covers, einer Nahaufnahme von Waldmoos. Die überraschende Struktur davon, wie kleine Tannenbäumchen, hat mich immer fasziniert und so machte mich das Bild auch neugierig auf das Buch. 

Es geht um eine junge Frau, der ihr eigenes Leben plötzlich fremd wird und die sich im Laufe des Buches schließlich von allem befreit. Sie reist dafür in die trockenste Wüste der Welt. Auf ihrem Weg dorthin beobachtet sie sich selbst, ihren Körper, ihre Gedanken, ihre Träume ganz genau und beschreibt das minutiös und dabei trotzdem fesselnd. 

Ich lauschte Worten wie "Tankstellen-Blumen" und "Lichtung" und Beschreibungen, die sich zu überraschenden Bildern zusammenfügten und fühlte mich auf seltsame Weise angezogen. Es war sehr schön anzusehen, was die Worte und Bilder während der Lesung mit den Gesichtern der Menschen machten. Nach der Lesung blätterte ich in das Buch hinein und mir gefiel sofort, wie es beginnt, mit einer ganz körperhaften Beschreibung, die einen sofort Seite an Seite mit der Protagonistin in das Buch hineingehen lässt. Ein schöner Satz heute Morgen: "Ich suche mir diese Bilder nicht aus. Sie sind in meinem Kopf". Leider musste ich das Buch dann aus der Hand legen. 

Mittwoch, 12. September 2012

Zwölfter September Zehnuhrelf

Also Herbst. Nicht mehr einfach rausspringen im leichten Hemdchen. Die Kleidung muss bedacht werden. Auch das sizilianische Regencape reicht nicht aus heute. Die Luft aber ist schön, duftet wunderbar würzig, nach Wald und Erde schon am Eingang des Parks. Gleich links glitzern mir hellgrüne Stachelbällchen, wehrhaft umhüllte Maronen entgegen. Alles glänzt und blitzt nach dem Regen. Die verschiedenen Grüntöne der Blätter nehmen mich gefangen. Und da, ein leiser Schreck lässt mich meine Schritte anhalten, entdecke ich den Graureiher, direkt vor mir am Teich. Auch er zuckt und blickt in meine Richtung. Der scheue Gast hat mich bemerkt und wird sofort auffliegen, wenn ich näher komme. Also mache ich so heimlich und leise, wie es geht, ein Bild von ihm. 



 


Der Graureiher erinnert mich, ähnlich wie die Kastanien an eine längst vergessene, ja verwunschene Welt. Jane Eyre und Mr. Rochester könnten hier gleich des Weges kommen mit einem großen irischen Wolfshund. Ähnlich geheimnisvoll wirkt heute morgen der ganze Park - die Natur scheint zu flüstern. Ich nehme den Weg zum  runden Springbrunnen nach rechts, Richtung Tempelchen. Diese Ecke ist sehr romantisch und passt zu meinen inneren Bildern. Auf dem Rückweg entdecke ich einen verzauberten Baum und beschließe dem Garten noch einen Besuch abzustatten. Ein paar frische Kräuter könnten einen guten Tee geben.

Als ich dort bin, wird mir klar, dass die Tomaten, Paprika und Kürbisse wohl so schnell keine Sonne mehr sehen werden und ich pflücke alles, was einigermaßen reif aussieht ab. Eine schöne kleine Ernte, die mich über die Woche bringen wird.


Dienstag, 11. September 2012

Elfter September Siebzehnuhrvierunddreißig

Heute Morgen war der Himmel schwer. Ich ließ mich aber trotzdem nicht abhalten, meine kleine Runde zu drehen. Übrigens andere auch nicht, wie ich feststellen konnte. Auf einer Bank vor dem großen Brunnen saß der Mann, der dort jeden Tag sitzt. Er trägt eine Vollglatze und ähnelt Yul Brynner, falls der noch ein Begriff ist. Er nimmt auf dieser Bank seinen morgendlichen Kaffee ein - und das, obwohl er in der Nähe zu wohnen scheint. Vielleicht hat er keinen Spaß daran, seinen Kaffee allein zu Hause zu trinken und genießt ihn lieber in der Gesellschaft von Enten und Moorhühnern - und mir. Wir haben jedenfalls vor kurzem angefangen, uns zu grüßen.

Auf der Rückrunde, gegenüber von Yul Brynner, der immer noch Kaffee trank, schien jemand wieder eigens für mich etwas Bemerkenswertes platziert zu haben: Eine bunte Decke lag ohne  zugehörige Eigentümer ausgebreitet auf der Wiese am Teich. Hatten nächtliche Nutzer diese Decke einfach vergessen, weil sie mit anderen Dingen beschäftigt waren? Wurden sie überrascht und mussten schnell fliehen? Auch diese Decke könnte eine Geschichte erzählen, so wie jedes Ding im Grunde, wenn es die Worte dafür fände, dachte ich so vor mich hin, als ich meine Schritte unter dem Tunnel durch nach rechts Richtung Garten lenkte.


Dort hatten zwei Männer gerade eine städtische Informationstafel aufgestellt, die meine Neugier weckte. Was sollte denn hier für eine Sehenswürdigkeit sein, fragte mich mich beim Nähertreten und musste doch lächeln, als ich ein Goethezitat entdeckte, das auf die Waldroute hinwies und so trefflich zu meinen morgendlichen Rundgängen passte: "Ich ging im Walde so vor mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn." Man findet immer etwas, besonders, wenn man nichts sucht, antwortete ich Johann Wolfgang im Geiste.

Freitag, 7. September 2012

Siebter September Neunuhrfünfundvierzig

Die Morgenluft ist schon so kühl, dass man eine Jacke braucht. Und ich habe noch gar keine Lust auf Winter und Weihnachten. Ja, aber das kommt. Schneller als einem lieb ist. 

Zum ersten Mal werden meine schnellen Schritte heute am Ende des Parks gestoppt. An dem kleinen, niedlichen Häuschen an der Stadtgrenze gegenüber dem Trafohäuschen. Ich stelle mir immer vor, darin ein winziges Kaffeehaus einzurichten, mit selbst gebackenem Kuchen und Sitzplätzen im Freien. Und schon oft habe ich mich gefragt, zu was es wohl dient und wer es nutzt. Denn es gibt eine Eisentür mit Griff, der von außen nicht zu öffnen ist.


Heute also denke ich, ich traue meinen Augen nicht, als ein Mann eiligen Schrittes durch diese Tür hinein in das Häuschen schlüpft. Während er drin ist, mache ich schnell ein Foto des Häuschens, in der Hoffnung, dass er während des Auslösens wieder herauskommt. Aber, es dauert eine Weile, bis er wieder erscheint. 

Ich halte mich abseits, um zu sehen, wo her hineilt. Auffällig ist sein dunkelblauer Pullover mit einem zarten türkisfarbenen Streifen - exakt in der Farbe der Straßenbahnen. Tatsächlich. Er wendet seine Schritte zur Endhaltestelle an der Stadtgrenze und löst einen anderen Mann im dunkelblauen Pullover ab. 

Sollte das niedliche Häuschen, das ein Überbleibsel aus der Epoche des Jugenstils sein mag, tatsächlich dem profanen Zweck eines Klohäuschens für Straßenbahnschaffner dienen? Die würden sicher auch gern immer mal einen guten Kaffee trinken und ein Stück meines selbst gebackenen Kuchens essen, denke ich und laufe weiter Richtung Allee, die im Herbst so schön ist, dass es mich ganz andächtig macht. 




Ich beobachte bunte Kinder, die durch den Baumkronentunnel der Platanen auf mich zukommen und eine Frau mit einem Beagle. Es ist Astrid Merger, die Offenbacher Modedesignerin. Ich freue mich, sie zu sehen und wir laufen gemeinsam zurück. An der Betonbrücke führt uns Beagle-Hündin Chira ein kleines Kunststück vor, springt auf den Podest und tänzelt über die Brücke. Sehr süß. 



Donnerstag, 6. September 2012

Sechster September Zehnuhrneunundvierzig

Diese Herbstmorgenstunden sind köstlich. So frisch und verheißungsvoll lichtdurchflutet. Sie versuchen einen zu täuschen darüber, dass es doch schon spät im Sommer ist, sehr spät. Um diese Jahreszeit quillt der Garten über und ich beschließe auf dem Rückweg, die Abbiegung in die Helene-Mayer-Straße zu nehmen. Es gilt Zucchini und Auberginen vor Übergröße zu bewahren und klein und zart in meinem Körbchen nach Hause zu retten. 



Am Bahndamm gegenüber des Seniorenheims steht ein alter Lederkoffer, ein sehr alter. Auf jeden Fall Vorkriegsware. Für so was hat man als Einwohnerin einer Lederstadt einen Blick. Ein schönes Stück, das ich sofort mitnehmen würde, aber leider sind alle Nähte zerschlissen, so dass es bald in seine Einzelteile zu zerfallen droht. Ich inspiziere den Koffer genauer. Vorne zwischen den Schlössern sind die Initialen J. P. zu erkennen. Handelt es sich dabei wohl um einen Mann oder eine Frau? Jean oder Johanna - das waren so Namen von damals. Mein Opa hieß Jean. 

Vielleicht hat der Koffer einem der Insassen aus dem gegenüberliegenden Seniorenheim gehört, geht es mir durch den Sinn. Das ganze Leben bemüht man sich um die Mehrung seiner Habseligkeiten und irgendwann ist man soweit, dass man nur so viele Dinge mitnehmen darf, wie in einem Koffer Platz haben. 

Ob noch etwas drinnen steckt? Ich halte den Atem an und betätige die Schlösser. Wie, wenn ich etwa einen scheußlichen Fund machte? Klapp rechts, klapp links und einen Spalt breit öffnen. Nichts, rein gar nichts, noch nicht mal ein Fleck. Schade, denke ich und verschließe die Schlösser wieder sorgfältig für den Nächsten.

Im Garten weicht meine Enttäuschung schnell dem Licht, das auf Blüten und Blättern spielt.