Wir stellten alle Stühle in den Waggon, gegenüber dem kleinen Tresen auf, an dem wir uns positionierten. Ich wählte den Barhocker. Pit Uferstein, unser begleitender Musiker, die Sofalehne. Johann Kneissl, Katharina Eismann, Gisela Wölber und Leo Pinkerton beschlossen im Stehen neben der Theke zu lesen.
Trotz des wenig einladenden Wetters fanden gegen 11:45 willige Zuhörer den Weg über Schotter durch herbstliches Buntgemüse. Auch sie freuten sich über die schützenden Wände des Waggons, ließen sich von Isa, die dem Hafengartenteam angehört, Tee oder Cappuccino reichen und suchten sich ein Plätzchen. Kurz nach zwölf waren alle Stühle außer einem besetzt und ich staunte, wie viele Menschen in so einen alten Waggon passen.
Gisela begann mit einem Text aus ihrer Serie "Verlorene Orte", die alte Frankfurter Großmarkthalle, wo demnächst Bänker ein- und ausgehen werden, zum Leben zu erwecken. Sie nahm die Zuhörer bei Morgengrauen mit in die "Gemieskersch", in eine Welt voll sinnlicher Eindrücke, die verschwunden ist, durch Büros ersetzt. Das neue EZB-Hochhaus mit seiner weithin glänzenden Fassade inspirierte auch Katharina Eismann zu ihrem Gedicht "Gemüsegebet": "...in seiner verglasten Weste steckt die Hafensilhouette". Johann Kneissl beschrieb poetisch die Atmosphäre im Hafengarten: "...Menschenvölker aller Schichten und Altersklassen schlendern mit gefüllten Gießkannen über Gartenkontinente...ohne Ausweiskontrolle..." Die Zuhörer folgten uns mit aufmerksamen Ohren und entrückten in der abgeschlossenen kleinen Welt des Waggons ein wenig ihrer eigenen. Kurz musste wegen Luftmangels das Fenster geöffnet werden. Nach einfühlsam dazwischen geworfenen Gitarrenklängen von Pit Uferstein nahm uns Leo Pinkterton mit in eine fantastische Geschichte und einen Paternoster, in dem ein gewisser Frederick Piperbach unsichtbar wird. Danach ging's mit Katharinas bunten Bildern aus Worten ins Markttreiben und dann über die Groß-Hasenbach-Straße nach Ürgüp in eine kleine Liebesfatamorgana, die Pit trefflich mit einem orientalischen Tango untermalte. Am liebsten wäre ich, und ich glaube auch die meisten Zuhörer, den ganzen Nachmittag im Waggon geblieben - aber draußen gab's schließlich noch Sachertorte von Johann und Kipfel von Katharina, wo man vergnügt zusammenstand und den kühlen Wind auf einmal als wohltuend empfand.
Eine schöne verlesene Mittagspause und wir freuen uns schon auf die nächste, am 1. Oktober im Genussverstärker am Goetheplatz. Texte über die Langsamkeit und das Genießen wurden heute schon gebündelt.