

Dieses Gefühl hat auch mit den Menschen zu tun, die hier tatsächlich wohnen und die immer genau das spiegeln, was mit dem Viertel wirklich los ist. In so einer Nacht wie der gestrigen kommen viele Ortsfremde, um einmal mit einem Auge in die Wirklichkeit zu spähen, erlaubterweise durchs Guckloch zu gucken. Dafür warteten in der Moselstraße, wo ich wenig später umherstreifte, lange Schlangen im Hof der Karmeliterschule. Sie waren dann, mit grünen Halsbändchen ausgestattet, die ganze Nacht hindurch gut zu erkennen, so dass man ihnen ausweichen konnte. Ich ließ mich für ein Glas in der Nachbarschaft bei Walon & Rosetti nieder, um das Treiben zu beobachten. Unter den Menschen waren, so schien mir, viele Angestellte aus dem nahen Bankenviertel, die aber doch nie gewisse Grenzen und Straßen überschritten. Viele von ihnen in Kostümchen und Anzug.
Es wurde langsam richtig voll und ich beschloss etwas essen zu gehen, solange es noch freie Plätze gab. Mein Ziel lag in der Elbestraße bei Pak Choi, einem Lokal mit original nordchinesischer Küche. Die Qualität der Restaurants auf engem Raum machen einen Gutteil des Bahnhofsviertelflairs aus und ziehen auch mich immer wieder hierher. Auch, weil die Restaurants ein hervorragender Ort sind, um Menschen aller Nationen zu studieren.
Gestern ungewöhnlich viele Deutsche. Vielleicht ist Neugier eine typische Eigenschaft, aber auch Sensationslust. Jedenfalls saß ich nicht lang allein. Zwei Damen, die in der Nähe arbeiteten und irgendwo im Landkreis lebten - eine von ihnen wirkte harmlos genug, um aus dem Kinzigtal zu stammen - setzten sich an den Nebentisch. Die Kinzigtalerin begann mich neugierig nach Sehenswürdigkeiten auszufragen. Beide hatten bei einer Führung mitgemacht und bemängelten, dass man alles eigentlich nur von außen zu sehen bekäme. Allerdings hatten sie auch den "Druckraum" in der Niddastraße besucht oder jedenfalls davor gestanden. Die Kinzigtalerin erzählte, dass ein junger Mann sich wegen der Besucher beschwert und gesagt hätte, er käme sich wie im Zoo vor.
Ich frage mich, was die Leute dazu treibt, sich solche Stätten anzusehen. Ist es das Leid der Anderen oder ist es einfach nur das Leben, das sie wenigstens einmal von der Nähe aus sehen möchten? Vielleicht sollten sie einmal ihr gemütliches Kinzigtal verlassen und sich hier einmieten. Über dem Pak Choi ist eine Wohnung frei. Vielleicht reicht es auch schon, ab und zu in der Mittagspause mal nicht in die bankeigene Kantine zu gehen. Dem Viertel kann weitere Bevölkerung nur nützen.