Mittwoch, 22. März 2017

Café Puschkin - oder alles begann in Leipzig

Immer mal wieder werde ich gefragt, ob denn meine Großmutter aus Wien stammte - und sehe dann manchmal enttäuschte Augen, wenn ich das verneine. Meine Großmutter (mütterlicherseits) stammt tatsächlich aus Leipzig. Sie hat dort in eine Kürschnerfamilie eingeheiratet https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Erler und bewohnte ein großes Jugendstilhaus in der Nikolaistraße

Aber wie bist du denn dann auf Wien gekommen?, fragen sie weiter. Tja, mein Buch "Eine ungeplante Reise nach Wien" ist ein Roman - und da ist vieles möglich. Viele Leser scheinen sich zu fragen, wie Fiktion entsteht. Die macht der Kopf beim Schreiben. 

Wie die meisten Autoren habe in meinem Roman autobiografische Details verwendet, denn die kennt man besonders gut, kann daraus anschauliche Bilder entstehen lassen. So gibt es Erinnerungssplitter, die in meinen Schreibfluss kamen, wie beispielsweise das Aussehen meiner Großmutter und ihre Heirat mit einem Pelzfabrikanten, denn dies waren die Mitglieder der Familie Erler und deren Partner in Leipzig. Auch vom Lebenswandel meiner Großmutter, die eine kleine Femme Fatale war, ist einiges eingeflossen - und zwar, weil sie meine Fantasie schon in Kindheitszeiten angeregt und mich inspiriert hat. Meine Großmutter hatte das Zeug zur Romanheldin - das war mir schon früh klar, wenn ich in ihrem Schlafzimmer an den Parfümfläschchen schnupperte (allesamt bekannte Düfte, wie ich erst später lernte) oder ihren Kleiderschrank durchkämmte und mir den Ozelot-Hut aufsetzte (leider weiß ich nicht, wo er geblieben ist). Und sie war 1912 geboren, kurz vor dem Ersten Weltkrieg. 

In der Zwischenkriegszeit und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war sie eine junge Frau mit allen Widersprüchen der Zeit in sich drin. Sie heiratete mit 26 eben jenen Pelzhändler - und erzählte mir später, wie sie sich ihn "geangelt" hatte. Das war nicht der herkömmliche Ton einer Großmutter, soviel war klar - sie war eine illustre und sehr selbständige Frau, die ich bewunderte. Vielleicht hat sie mit ihren Geschichten sogar meinen Erzähltrieb geweckt. 

Ihr Mann, mein Großvater, den ich nie kennengelernt habe, war eine Art Aussteiger und wollte dem Pelzhandel abschwören. Dazu gingen die beiden ins Kleinwalsertal nach Hirschegg, wo sich die Fuchsfarm der Firma befand. Ein Glück für meine Großmutter, die dort oben auf dem Berg wenig mitbekam von Kriegswirren und Gräueltaten. 




Meine Mutter allerdings wurde in Österreich geboren - und so kam irgendwann Wien ins Spiel, weil das ihre Lieblingsstadt war. 

Auch als sie schon in Offenbach am Main wohnte und mit meinem Vater verheiratet war, konnte sie am Telefon, wenn Verwandte anriefen, leicht in den Walser-Dialekt wechseln. Diese süddeutsche Färbung des Deutschen war mir seit Kindertagen vertraut. Meine Mutter hatte also eine Bindung zu Österreich und meine beiden Eltern machten es sich zur Gewohnheit, einmal im Jahr nach Wien zu reisen. So bekam ich von dort allerhand mit - besonders auch die Musik, die mein Vater auf CDs mitbrachte. Ich selbst bin erst relativ spät über die Recherchen zu meiner Magisterarbeit, die sich mit den Autobiografien deutscher Exilschriftstellerinnen befasste zu Recherchen immer wieder nach Wien gekommen. 


Aber Wien hat es mir natürlich gleich angetan, mit seinen Kaffeehäusern und seiner Wertschätzung der Musik und überhaupt der Künste. Aber auch seine Ambivalenz: Die prächtigen Straßen und die kleinen vernachlässigten Gassen. Die Stadt tanzt überschwänglich Wiener Walzer und melancholisch die langsame Version davon. Und schließlich, es ist eine Stadt voller Geschichte und Geschichten - der Stadt Leipzig gar nicht so unähnlich fand ich, als ich Anfang der Neunziger Jahre zum ersten Mal in der Nikolaistraße war und auch das Haus meiner Großmutter zum ersten Mal sah. 

Viele dieser Aspekte sind in meinen Roman eingeflossen und haben sich zu einer ganz eignen Geschichte entwickelt. 

Ich habe mich sehr gefreut, das erste Mal in Leipzig zu lesen, auf der Messe, am Stand des Größenwahn Verlags und abends im schönen Café Puschkin, wo echt die Hütte voll war, so das keiner mehr rein und raus konnte. Besonders bedanken möchte ich mich auch bei meinen Mitleserinnen vom Konkursbuchverlag. Die Texte waren alle super! Und super vorgetragen! 


Das alles hat große Lust gemacht, weiterzuschreiben an der Wiener Geschichte von Judith und Leo...Ich bin gespannt, was noch passiert.