Ein Duft hüllt mich ein wie eine warme Woge. Ein bisschen wie aus einer anderen Zeit. Ein bisschen mondän. Ein Duft, der eine Geschichte zu erzählen scheint von den starken Frauen aus einem Familienclan. Starke Frauen, die ihren Mann stehen mussten, zwischen den Kriegen - und die doch schön waren und verführerisch. Etwas von Salon ahne ich darin, vom Rascheln kostbarer Stoffe, von Geheimnis, von einer Liebe, über die niemand wissen durfte. So wie Jasmin heimlich duftet in einer warmen Nacht, verboten und stark.
Die Erfinderin des Duftes ist nicht von hier. Sie erzählte mir, sie sei in Bukarest geboren und habe im Atelier ihrer Großmutter Eugenie Puppenkleider entworfen. Ich stelle mir diese Stadt vor. Eine Straße mit palastartigen großen Häusern, Jugendstilornamente, ein Frauenkopf mit üppiger Haarpracht über einem Eckladen, einem kleinen Atelier. Es ist später Nachmittag zwischen fünf und sechs. Der Himmel wird langsam dunkelblau. Ein sonniger, kalter Tag geht. Der Laden ist hell erleuchtet. Die Inhaberin Eugenie steht an einer Schneiderpuppe und macht die letzten Stiche an einem Kleid aus purpurnem Taft. Das Kleid ist nur für einen einzigen Abend gemacht worden. Sie weiß das. Die Auftraggeberin weiß das.
Danach würde Eugenie es in Zahlung nehmen und irgendeiner anderen verkaufen. Sie hat das Kleid für ihre Freundin genäht, ihre Freundin, die gerade in Bukarest zu Besuch ist, eine Woche lang, bevor sie in Wien wieder die Gemahlin des Commercialrats sein wird. Eugenie seufzt. Warum muss immer alles so kompliziert sein? Ihr eigener Mann, den sie geliebt hat, kam nicht aus dem großen Krieg zurück. Der ungeliebte Mann von Cecilia konnte dagegen von einem Büro aus Krieg führen und ihm ist nichts geschehen. Dennoch lernte Cecilia während dieser Zeit einen Arzt aus Bukarest kennen. Frühverwitwet. Vielleicht würde Eugenie ihn von der Freundin in Zahlung nehmen können wie das Kleid, nach dieser Nacht.
Da kommt sie in hastigen Schritten. Klingkling, die Ladentür. Oh, ich bin so aufgeregt! Hast du es fertig? Ja, hier, du kannst es anprobieren. Eugenie geht zur Puppe und löst die Häkchen. Es ist wunderschön, sagt Cecilia und wird rot. Ob er das verdient hat? Ob ich das verdient habe?
Manchmal muss so etwas sein, sagt Eugenie - für eine Erinnerung in der langen Strecke des Lebens. Die beiden jungen Frauen gehen nach hinten in die Ankleide. Cecilia entkleidetet sich bis auf die Unterwäsche. Eugenie hilft ihr in den purpurroten Stoff. Der fühlt sich kühl an, kühl und noch etwas steif. Aber, mit den Bewegungen und der Berührung kommt Wärme hinein und Weichheit. Eugenie zieht und zupft. Cecilia ächzt. Ist das nicht zu eng? Setz dich mal hier auf den Hocker, sagt Eugenie und schüttelt den Kopf. Das muss so sitzen. Allerdings bräuchtest du schon Hilfe - beim Ausziehen, sagt sie ganz leise, lächelt und schlägt die Augen nieder.
Die letzten Korrekturen mache ich draußen im Licht. Die beiden jungen Frauen bewegen sich wieder nach vorn in den Laden. Mein Gott, das bin ich gar nicht, sagt Cecilia, die sich nun erstmals im Spiegel sieht. Na, um so besser, antwortet Eugenie. Dann musst du keine Gewissensbisse haben. Die beiden Freundinnen lachen leise. Ich danke dir, sagt Cecilia und umarmt Eugenie. Warte, hier muss ich den Faden noch vernähen. Cecilia spürt die Festigkeit des Metalls in der Taille und atmet ein. Eugenie beißt den Faden durch. So, sagt sie.
Cecilia dreht sich ein paar mal um die eigene Achse und umarmt Eugenie nochmals. Wie kann einem ein einziger kleiner Moment soviel Glück bedeuten? sagt sie und schüttelt den Kopf. Und dann: Ich muss los. In einer halben Stunde beginnt die Oper. Sie greift nach ihrem Cape, das sie über einen Sessel gelegt hatte. Warte kurz, sagt Eugenie und läuft nochmal nach hinten Richtung Ankleide. Mit einem kleinen Flacon in der Hand kehrt sie zurück. Was ist das?, fragt Cecilia. Mein erstes Parfum, sagt Eugenie. Ich habe es mit einem Parfumeur aus Paris entworfen. Sie öffnet den Flacon und betupft Cecilia sanft hinter den Ohren. Nimm es, sagt sie und gibt Cecilia den Flacon in die Hand. Cecilia kann gar nichts mehr sagen vor Rührung und lässt den Flacon still in ihre Handtasche gleiten. Die Freundinnen umarmen einander nochmals und Eugenie bringt Cecilia zur Tür. Klinkling.
Wie in einer duftenden Woge läuft Cecilia durch Bukarest - und ich durch Offenbach nach einem Besuch bei Astrid Merger, die gerade ihr erstes Parfüm entworfen hat. Ich konnte nicht widerstehen. Cecilia steht jetzt bei mir auf der Kommode im Flur und wartet auf einen schönen, kalten Winter voll geheimnisvoller Momente.